Zum Inhalt springen
Startseite » [Archiv] 3D: It Came From Inner Space

[Archiv] 3D: It Came From Inner Space

Ursprünglich gepostet am: 29. Mai 2015 auf filmosophie.com

Ich schreibe selbst als Filmkritiker, aber über Film schreiben heißt nicht zwangsläufig, dass man das nur im Form einer Kritik oder Rezension machen muss. Dies geht auch aus film- und medienwissenschaftlicher Sicht. In meiner Kolumne “Back To The Film Studies” will ich mich daher aktuellen aber auch nicht aktuellen Filmen, Serien und ganzen Genres widmen und hier einzelne interessante Aspekte aus film- und medienwissenschaftlicher Sichtweise beleuchten und besprechen.

Als ich vor ein paar Tagen in einem Artikel von Indiewire las, dass der Klassiker The Last Emperor (1987) von Bernardo Bertolucci – ein Film den ich sehr schätze – auf dem Filmfestival in Cannes in 3D wieder aufgeführt wird, war mein erster Gedanke: „Muss das sein?!“. Ich denke, der im Artikel verwendete Begriff „Parasit“ beschreibt die Situation ganz treffend, denn in vielen Fällen, so möchte ich mal eine These wagen, handelt es sich bei einem 3D-Film leider nur um eine Möglichkeit noch mehr Geld zu machen. Bei genauerer Betrachtung fällt aber auf, dass das Phänomen der dritten Dimension im Film eigentlich schon immer unter uns war und nur ein Revival erlebt.

Aus filmhistorischer Sicht beginnt der große und bedeutenste Hype um 3D schon in der Mitte des 20. Jahrhunderts.
Das US-Kino der 1950er Jahre befindet sich in einer Krise, denn bereits Ende der 1940er Jahre begannen die Zuschauerzahlen in amerikanischen Kinos zu sinken: zwischen 1948 und 1952 sanken die wöchentlichen Besucherzahlen in den US-amerikanischen Kinos von 90 Millionen auf 51 Millionen.((Vgl. Belton, John: „Technologie und Innovation“. In: Geoffrey Nowell-Smith (Hg.). „Geschichte des internationalen Films”. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler (1998), S. 235 – 243, hier: S. 240.)) Ebenfalls 1948 veränderte das „Paramount Urteil“ nachhaltig die Studiolandschaft in Hollywood: Bis zu diesem Zeitpunkt dominierten die fünf großen Studios, die Big Five (MGM, Paramount, Warner Bros., 20th Century Fox und RKO) das Geschäft in Hollywood. Sie kontrollierten die Entstehung der Filme von der Idee bis hin zur Vermarktung in den eigenen Kinos. Kleinere Studios wie z.B. Universal, Columbia oder United Artists waren daher im Nachteil. Das Urteil des Supreme Court beendete somit die lukrative und „Goldene Ära“ Hollywoods.((Vgl. u.a. Gomery, Douglas: „Der Wandel im Hollywood-System“. In: Geoffrey Nowell-Smith (Hg.). „Geschichte des internationalen Films”. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler (1998), S. 403-410, hier S. 404.))
Wie auch Jan Distelmeyer in seinem Text „Recreation: CinemaScope und Electronic Hollywood. Eine Filmgeschichte unter Einfluss“ mit Verweis auf John Belton und sein Buch „Widescreen Cinema“ an mehreren Stellen betont, sind die Gründe für die Kriese des Kinos aber auch auf sozialer und demographischer Ebene zu suchen.((Vgl. Distelmeyer, Jan: „Recreation: CinemaScope und Electronic Hollywood. Eine Filmgeschichte unter Einfluss“. In: Harro Segeberg (Hg.): „Film im Zeitalter Neue Medien I: Fernsehen und Video (Mediengeschichte des Film/Band 7)“. München: Wilhelm Fink Verlag (2011), S. 251 – 278, hier S. 264ff.)) Das urbane Gesicht Amerikas hatte sich in den Nachkriegsjahren nachhaltig verändert. Die Menschen, die vorher in den Städten wohnten, zogen in die Vorstädte, und damit stiegen auch die Kosten für den Kinobesuch, der vorher im näheren Umfeld möglich war, und nun aber mit dem Auto gemacht werden musste. Um dem entgegenzuwirken, begann Hollywood z.B. mit dem Bau von Autokinos in den gesamten USA und versuchte mit Kinos in den Shopping Malls einen weiteren Anziehungspunkt für das Publikum in den Vororten zu schaffen.((Vgl. Gomery, Douglas: „Der Wandel im Hollywood-System“. In: Geoffrey Nowell-Smith (Hg.). „Geschichte des internationalen Films”. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler (1998), S. 403-410, hier S. 404.)) Aber auch das Freizeitverhalten der amerikanischen Bürger hatte sich verändert. Die Arbeitszeit im Nachkriegsamerika sank auf 40 Stunden pro Woche und somit hatten die Menschen mehr Zeit für private Aktivitäten, zugleich erhöhte sich auch das Einkommen und damit die Möglichkeiten sich neuen Freizeitaktivitäten zuzuwenden.((Vgl. Belton, John: „Technologie und Innovation“. In: Geoffrey Nowell-Smith (Hg.). „Geschichte des internationalen Films”. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler (1998), S. 235 – 243, hier: S. 240 / Vgl. Distelmeyer, Jan: „Recreation: CinemaScope und Electronic Hollywood. Eine Filmgeschichte unter Einfluss“. In: Harro Segeberg (Hg.): „Film im Zeitalter Neue Medien I: Fernsehen und Video (Mediengeschichte des Film/Band 7)“. München: Wilhelm Fink Verlag (2011), S. 251 – 278, hier S. 265.)) Um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, versuchten die Studios auf zum Teil auf neue Technologien zurückzugreifen: Mit Technicolor-Filmen wollten sich die Studios von den Schwarzweißbildern des Fernsehens absetzen und die Zuschauer wieder in die Kinosäle locken.((Vgl. Gomery, Douglas: „Der Wandel im Hollywood-System“. In: Geoffrey Nowell-Smith (Hg.). „Geschichte des internationalen Films”. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler (1998), S. 403-410, hier S. 404.)) Neue Breitwandformate wie z.B. 70mm, CinemaScope oder Todd-AO sowie die 3D-Technik sollten einen neuen Eventcharakter für die Zuschauer schaffen.((Vgl. Gomery, Douglas: „Der Wandel im Hollywood-System“. In: Geoffrey Nowell-Smith (Hg.). „Geschichte des internationalen Films”. Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler (1998), S. 403-410, hier S. 404f.))
Im Zuge dieses neuen Trends, warb z.B. das Plakat des 1952 erschienenen Films Bwana Devil mit dem Slogan „A lion in your lap!“ und „A lover in your arms!“ und verwies damit auf den Realitätseffekt des neuen 3D-Verfahrens.((Vgl. Distelmeyer, Jan: „Bedecke deine Augen. 3D als Maß der Dinge“. In: Jan Distelmeyer, Lisa Andergassen und Nora Johanna Werdich (Hg.). „Raumdeutung. Zur Wiederkehr des 3D-Effekts im Film“. Bielefeld: Transcript Verlag (2012), S. 17 – 41, hier: S. 28. / Vgl. Hayes, R.M.: „3-D Movies. A History and Filmography of Stereoscopic Cinema. Jefferson: McFarland (1989), S. 147.)) Im Gegenzug bewarben die Produzenten der  Twentieth Century Fox Film Corporation das Widescreen Format CinemaScope für den 1953 erschienenen Film The Robe von Henry Koster mit dem Spruch „The Modern Miracle You See Without Glasses!“((Belton, John „Widescreen Cinema“. Cambridge: Harvard University Press (1992), S. 115. Zitiert nach: Distelmeyer, Jan: „Bedecke deine Augen. 3D als Maß der Dinge“. In: Jan Distelmeyer, Lisa Andergassen und Nora Johanna Werdich (Hg.). „Raumdeutung. Zur Wiederkehr des 3D-Effekts im Film“. Bielefeld: Transcript Verlag (2012), S. 17 – 41, hier: S. 28f.)).

Zweifelsohne hat sich die Technik seit den 50ern in vieler Hinsicht weiterentwickelt und so tragen wir z.B. auch nicht mehr die Anaglyphenbrille mit Rot/Cyan- bzw. Rot/Grünen- Filtern, sondern mittlerweile Polarisationsbrillen für RealD. Wie der kurze geschichtliche Überblick aber zeigt, ist 3D im Kino eigentlich nichts Neues. Auch die Motivation für diese scheinbar neue Strömung unterscheidet sich nicht von der in 1950er Jahren.

Während früher die Filme in der Regel in 2D gezeigt wurden und sie nur in ausgewählten Kinos in 3D liefen, ist die Situation in vielen Fällen heute umgekehrt. Das Problem bei dieser aktuellen vom Markt dominierten Situation ist, dass eigentlich nicht jeder Film der als 3D verkauft wird, auch dieses Prädikat verdient.
Das was eigentlich einen 3D-Film ausmacht, liegt gerade im Bild selbst und nicht immer zwangsläufig in der Geschichte des Films. Die Mise-en-scène, die Anordnung der Objekte und Personen und deren Bewegung im Bild, sind ein wichtiges Element wenn ein 3D-Film gedreht wird. Sowohl im 2D- als auch im 3D-Film, spielt der Raum und die Bewegung in ihm eine wichtige und oft auch dramaturgische Rolle. Im 3D-Film, dessen zentrales Element eben die Erschaffung räumlicher Tiefe und die Akzentuierung des Raums ist, hat dieser aber eine besonders wichtigere Rolle und gerade hier liegt eines der zentralen Probleme des aktuellen Trends.
Nehmen wir ein klassisches Beispiel. Ein Regisseur will eine Szene drehen, in der sich zwei Personen unterhalten: wir sehen im Bildvordergrund eine Person A in der Halbnahen, die mit dem Rücken zu uns steht. Im Bildhintergrund sehen wir dann Person B, die in unsere Richtung schaut und mit Person A spricht. In den meisten Fällen ließe sich diese räumliche Anordnung mit der Tiefenschärfe bzw. einer bestimmten Brennweite erzeugen. Im Fall von 3D soll diese Räumlichkeit durch die optische Illusion jedoch noch hervorgehoben werden. Das Problem ist aber, dass die tatsächliche Distanz zwischen den beiden Personen beim Dreh für einen 2D-Film, anders ist als die, die dafür beim Dreh eines 3D-Films benötigt wird. Wenn man die Szene daher für einen 3D Film drehen will, müssen die Schauspieler und Objekte in der Szene anders angerordnet sein, als beim Dreh einer zweidimensionalen Szene. Der später auf der Leinwand visualisierte Raum, muss daher schon in der Konzeption und Gestaltung der jeweiligen Szene mitgedacht werden. In Anbetracht dessen, lassen sich die 3D-Filme die wir aktuell im Kino sehen, in drei Kategorien unterteilen:
An erster Stelle befinden sich die Filme, die als 2D-Film gedreht wurden und dann – aus welchen Gründen auch immer – in 3D-Film umgewandelt werden. Prominente Fällen sind hier eben Bertoluccis The Last Emperor aber auch Titanic (1997) von James Cameron und Jurassic Park (1993) von Steven Spielberg. Das Problem bei diesen Filmen ist aber, dass sie bei ihrer Entstehung in vielen Fällen gar nicht für drei Dimensionen ausgelegt waren und somit der räumliche Effekt der bei der Umwandlung entsteht, bei Weitem nicht so gut ist wie bei „echten“ 3D Filmen. Eine kleine Sonderrolle spielen hier sicherlich die Animationsfilme wie z.B. Finding Nemo (2003), der mittlerweile auch in 3D umgewandelt wurde. Der Vorteil bei digital animierten Filmen ist, dass die 3D-Effekte (noch) viel einfacher und viel schneller zu erzeugen sind, als es bei klassischen Filmen der Fall ist: bei Animationsfilmen ist der Raum von Beginn an ein künstlicher und somit einfacher zu manipulieren als der eines „klassischen“ Films.
An zweiter Stelle stehen solche Filme, die zwar nicht direkt mit 3D Kameras gedreht wurden, wo jedoch bei der Inszenierung und der Mise-en-scène berücksichtigt wurde, dass die Bilder später in 3D zu sehen sein werden. Ein Beispiel wäre hier z.B. Alice in Wonderland (2010) von Tim Burton.
An dritter Stelle befinden sich schlussendlich all die Filme, die von Beginn an als 3D-Film gedacht waren, so inszeniert und auch direkt in 3D gedreht wurden. Das prägnanteste Beispiel hierfür ist sicherlich James Camerons Avatar (2009). Ein anderes schönes Beispiel hierfür ist der jüngst erschienene Animationsfilm The Croods (2013): hier ist nicht nur die ganze Geschichte mit all ihren Verfolgungsjagten auf die drei Dimensionen ausgerichtet, sondern auch bereits die Eingangssequenz, in der ein kleiner Funke den dreidimensionalen Raum durchschwebt und dem Zuschauer scheinbar in die Augen zu fliegen scheint.

Es ist sicherlich nichts gegen die Nutzung von 3D einzuwenden, die Tatsache, dass viele Filme jedoch nur aus finanziellen Gründen umgewandelt werden, obwohl sie gar nicht dafür konzipiert wurden und der 3D-Effekt eigentlich keinen Mehrwert bringt,  ist zweifelsohne bedauerlich. Auch auf Seiten der Filmemacher, sind die Meinungen zu diesem Trend sehr unterschiedlich. Einen interessanten Einblick in diese Diskussion und das damit zusammenhängende Digitale Kino, bietet hier z.B. der Dokumentarfilm Side By Side (2012), der auf der Berlinale 2012 lief. Wie sich die Situation am Ende entwickeln wird und ob dieses Verfahren eines Tages vielleicht sogar zum Standard werden wird, wird die Zukunft zeigen. Tatsache ist jedoch, dass diese Technik – entgegen dem für diesen Artikel namensgebenden 3D-Film It Came From Outer Space (1953) –  ganz irdisch, finanzielle Ursprünge hat.