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[Archiv] Sunrise – Durch die neongetränkten Straßen Mumbais

Ursprünglich gepostet am: 11. Juli 2015 auf filmosophie.com

Zehn Jahre ist es nun her, dass Inspector Joshis (Adil Hussain) kleine Tochter verschwunden ist. Während seine Frau den Verlust nie überwunden hat, streunt er noch immer fiebrig, fast schon in Trance suchend durch die Straßen Mumbais, während täglich neue Vermisstenmeldungen auf seinem Schreibtisch landen. Selbst als eines Tages ein junges Ehepaar eine Vermisstenanzeige aufgeben will, kann Joshi nichts tun, auch wenn er die stille Verzweiflung der Mutter nur zu gut versteht.

Auf der Suche nach den Tätern begegnet er in den Nachtclubs der düsteren Metropole versklavten Mädchen und ihren misshandelten Seelen. Eine dunkle Gestalt, vielleicht nicht mehr als ein beunruhigender, flüchtiger Schatten, ist ihm immer einen Schritt voraus und führt ihn tief in die Abgründe seines schwelenden Traumas.

Sunrise von Regisseur Partho Sen-Gupta ist eines dieser wenigen Beispiele die es nach Deutschland schaffen und dem Zuschauer wieder einmal vor Augen führen, dass indisches Kino weit mehr ist als Bollywood und Indien auch ein Markt für gutes Independent-Kino sein kann.

Sunrise ist auf erschreckende Art und Weise aktuell und greift dabei die leider immer noch aktuelle Thematik der Gewalt gegen Frauen und die der organisierten Kindesentführungen und des Kinderhandel in Indien auf, die die letzten Monaten immer wieder Schlagzeilen gemacht haben.
Gleich von der ersten Minute an entführt der Film den Zuschauer in ein fast schon surreales Setting. Sen-Gupta entführt uns in die vom Neonlicht erhellte und vom Monsunregen durchträngte Nacht in den engen Gassen und Straßen Mumbais und stellt uns dabei Inspector Joshi an die Seite, der sich auf einer rauschhaften und fast schon aussichtslosen Suche nach den Entführen der vermissten Kinder befindet. Die Reise durch die verregnete Nacht führt in die Unterwelt, dessen Eingang wie das Gesicht eines Dämons aussieht. Das Paradies ist eigentlich die Hölle und entpuppt sich als ein dubioser Nachclub, in dem Männer im Halbschatten gierig auf jungen Mädchen schauen, die auf der Bühne tanzen.

In dieser schon fast dantesken Reise durch diese Hölle, die scheinbar nie endenden wollende Nacht und den auch scheinbar nie versiegenden Monsunregen, jagt Joshi den Tätern hinterher. Doch es sind eigentlich nur Schatten, die für all die Schattenmänner (und ja auch Schattenfrauen) stehen, die in Indien im Dunklen die Fäden ziehen, an diesem Geschäft beteiligt sind und eigentlich jeder Verhaftung unerkannt entfliehen können.
Sunrise ist voll von diesen Symbolen, die es eigentlich zu verstehen gilt und im Kontext der aktuellen sozialen Gegebenheit in Indien gesehen werden müssen.

Mit der Zeit entwickelt der Film durch seine Kameraführung und sein Sounddesign eine immer düstere Atmosphäre, die zu Recht ein Beklemmung beim Zuschauer hervorruft. Und es gibt Stellen, an den man am liebsten aus dem Albtraum erwachen würde, doch genau wie für Joshi, kommt der rettende Sonnenaufgang nicht. Ein Gefühl der Beklemmung, das noch dadurch verstärkt wird, weil man als Zuschauer immer das Gefühl hat, die Menschen denen der Protagonist begegnet, würden uns anschauen und dabei uns als Mittäter entlarven, gerade weil wir als Gesellschaft nichts getan haben.

Regisseur Partho Sen-Gupta schafft es schlussendlich einen Film zu gestalten, der die Brutalität ausspart, mit wenig Action und wenig Dialog auskommt, und gerade deswegen so erschreckend laut, hart und direkt ist.
Zwar verfängt sich der Film gegen Ende, als er noch sprichwörtlich tiefer in die Unterwelt eintaucht, ein bisschen in seiner Symbolik und wird seinem bisher konsequent durchgehaltenen Stil kurz untreu, doch das schmälert die Stärkes des Films nicht.

Der Film bietet am Ende auch keine Ausweg aus diesem Albtraum, sondern überlässt es der Hauptfigur dies zu tun. Diese wählt einen Ausweg, der in seiner Gestaltung stark an die Schlusszene aus – unglaublich aber war – Inception erinnert und dabei die Aussichtslosigkeit des Kampfes und vor allem die Ohnmacht von Joshi um ein weiteres Mal verdeutlicht.

Kinostart: 20. August 2015