Zum Inhalt springen
Startseite » [Archiv] Westen – Kein Gold hinter der Grenze

[Archiv] Westen – Kein Gold hinter der Grenze

Ursprünglich gepostet am: 18. Februar 2014 auf filmosophie.com

Im goldenen Westen ist nicht immer alles Gold, was glänzt.

Nachdem ihr russischer Ehemann auf einer Dienstreise durch einen Autounfall ums Leben gekommen ist, wollen die Ostberlinerin Nelly Senff (Jördis Triebel) und ihr Sohn Alexej (Tristan Göbel) mit Hilfe eines Fluchthelfers die DDR verlassen. Doch bis die beiden im „goldenen Westen“ ankommen, muss Nelly noch einmal die Schikanen des Regimes über sich ergehen lassen. So lassen es sich die Grenztruppen nicht nehmen, sie mit einer Leibesvisitation ein letztes Mal zu demütigen.
In West-Berlin angekommen, suchen die beiden zunächst das Notaufnahmelager in Berlin-Marienfelde auf. Trotz der Überfüllung und der teils chaotischen Zustände dort, überwiegt die Freude, nun endlich in Freiheit zu sein. Doch allzu schnell muss Nelly feststellen, dass im achso goldenen Westen nicht alles rosig ist und dass sie nur ein Gefängnis gegen ein anderes getauscht haben. Sie und ihr Sohn finden sich in einer stellenweise nicht zu bewältigenden bürokratischen Tretmühle wider. Darüber hinaus muss Nelly sich die Fragen des amerikanischen Geheimdienstes gefallen lassen, die sie wegen der möglichen politischen Verwicklungen ihres Mannes immer wieder befragen, ohne ihr wirklich zu sagen, was genau sie wollen. Sie wollte aus der DDR weg, genau wegen dieser Art von Fragen. Mit Stolz und Würde erträgt sie jedoch die Schikanen und die scheinbar nicht enden wollenden Verhöre. Bald lernt sie auch den mysteriösen Hans (Alexander Scheer) kennen, der ebenfalls aus der DDR geflohen ist und sich nicht nur für sie interessiert, sondern sich auch um sie und ihren Sohn kümmert. Die Situation spitzt sich mit der Zeit jedoch so zu, dass Nelly immer mehr in eine Art Teufelskreis gerät und glaubt, der lange Arm der Stasi und die Schatten der Vergangenheit würden sie bis hierher verfolgen und ihr den Weg in die endgültige Freiheit versperren.

Regisseur Christian Schwochow, der sich im mehrfach preisgekrönten TV-Zweiteiler Der Turm bereits intensiv mit der DDR befasst hat, wirft mit Westen nun einen Blick über die Grenze, in den „goldenen Westen“. Man kann sich während des Films jedoch nicht gegen den Gedanken erwehren, dass dieser für das Fernsehen gemacht wurde oder zumindest in Hinblick auf eine bewusste Fernsehauswertung konzipiert wurde. Vielleicht liegt es auch daran, dass der Film trotz des interessanten und brisanten Themas ein bisschen an Tragweite verliert. Die, nennen wir es mal  „Begrenztheit des Filmbildes“ macht sich stellenweise bemerkbar, jedoch ist sie bei Weitem nicht so störend wie sie es z.B. bei Boxhagener Platz (2010) von Matti Geschonneck der Fall war, der ebenfalls in seiner Gestaltung ein TV-Film mit Kinoauswertung war und dem man in jedem Detail den Fernsehcharakter angemerkt hat. Im Gegenteil, in gewisser Hinsicht unterstützt die Enge der Darstellung sogar das entschlossene Spiel von Jördis Triebel und verdeutlicht die beklemmende Situation in der sie sich befindet.

Das Gute an Schwochows Film ist aber, dass er zu keiner Zeit Partei ergreift. Das Bild, das er vom „goldenen Westen“ zeichnet und das im Allgemeinen immer wieder als positiver Gegenpol zur vermeintlich schlimmen DDR hochgehalten wird, ist ein nüchternes, aber auch ehrliches Bild. Vielleicht ist es daher auch nicht verwunderlich, dass man Nelly im Verlauf des Films stellenweise hören sagt, sie wäre lieber wieder in der DDR. Zur gleichen Zeit zeigt Westen aber auch, dass ebenso die DDR ihre dunklen Seiten hatte. Das offenbaren mehrere Szenen im Film. Aber auch die zunehmende Paranoia von Nelly und die Angst, nichts und niemanden mehr vertrauen zu können, zeigen, wie sehr die Überwachung sich in die Köpfe der Menschen gebohrt hat und sie bis zu Letzt verfolgt – und das ohne wirklich präsent und materiell fassbar zu sein. Und das ist wohl das schlimmste Verbrechen.

Die Unschuld und Naivität mit der Tristan Göbel seine Rolle spielt, scheint in diesem Zusammenhang wie ein bewusst gewähltes störendes Element zu sein und verleiht dem Film und dem Verfolgungswahn eine interessante Dramatik. Zur gleichen Zeit ist aber gerade diese Unschuld und Naivität mit der ihr Sohn an die Sachen herangeht, der einzige Weg für Nelly um aus diesem Teufelskreis zu entfliehen.

Kinostart: 27. März 2014