Ursprünglich gepostet am: 18. Juli 2016 auf filmosophie.com
Mitten in der Nacht, wenn jedes Kind und jeder Erwachsene tief und fest schlafen, kommen finstere Dinge aus ihren Verstecken und nehmen Besitz von der Welt. Das hat man der altklugen zehnjährigen Sophie (Ruby Barnhill) erzählt, und das glaubt sie auch, als sie hellwach in ihrem Bett in einem Londoner Waisenhaus liegt. Während all die anderen Mädchen im Schlafsaal tief in ihre Träume versunken sind, traut sich Sophie, eine der vielen strengen Regeln von Mrs. Clonkers zu brechen. Sie schlüpft aus ihrem Bett, setzt sich ihre Brille auf, lehnt sich aus dem Fenster und schaut nach, wie die Welt aussieht in der mondhellen Stille zur Geisterstunde. Im gespenstischen silbernen Licht sieht die ihr sonst vertraute Straße aus wie einem Märchendorf entsprungen und aus der Dunkelheit kommt etwas Langes und Großes… sehr, sehr Großes. Dieses geheimnisvolle Etwas ist ein Riese, der sich Sophie schnappt und sie mitnimmt in sein weit, weit entferntes Zuhause. Aber Sophie hat Glück gehabt, denn bei dem Riesen (Mark Rylance) handelt es sich um den Big Friendly Giant (BFG) und der ist ganz anders als die anderen Einwohner im Land der Riesen. Er ist sieben Meter groß, hat riesige Ohren und einen ausgeprägten Geruchssinn. Auf liebenswerte Weise ist der BFG etwas langsam von Begriff und bleibt am liebsten alleine für sich. Seine Brüder sind dagegen doppelt so groß und mindestens doppelt so furchterregend wie er, und sie essen Menschen. Der BFG hingegen ist Vegetarier und ernährt sich von einem ekligen Gemüse, das sich Rotzgurke nennt.
Unmittelbar nach ihrer Ankunft im Land der Riesen fürchtet sich Sophie noch vor dem geheimnisvollen Riesen, aber bald schon erkennt sie, dass er eigentlich sehr lieb und sanftmütig ist. Weil sie in ihrem Leben natürlich noch nie einem Riesen begegnet ist, hat sie viele Fragen. Der BFG nimmt Sophie mit ins Land der Träume, wo er Träume einfängt und sie zu den Kindern schickt, und bringt ihr dabei alles über die Magie und Geheimnisse der Träume bei. Bisher waren beide immer auf sich allein gestellt, und so entwickelt sich nach und nach eine unerwartete Freundschaft zwischen ihnen. Aber Sophies Anwesenheit im Land der Riesen ruft unerwünscht die anderen Riesen auf den Plan, die immer unangenehmer werden. Sophie und der BFG machen sich schon bald auf den Weg nach London, wo sie die Queen aufsuchen und vor den gefährlichen Riesen warnen wollen. Dafür müssen sie die Königin aber erst einmal davon überzeugen, dass Riesen wirklich existieren. Gemeinsam schmieden sie einen Plan, wie man die Riesen für immer und ewig loswerden kann.
Steven Spielberg ist und bleibt ein großer Geschichtenerzähler. Seine Filme reichen von Fantasy, über Science-Fiction und Actionfilm bis hin zum (historischen) Drama. Doch einen Film wird man wohl immer mit ihm in Verbindung und zwar E.T. Und das nicht ohne Grund. Denn die Filme die Spielberg am Besten umsetzt sind die, die von Freundschaft und Phantasie handeln. Und auch wenn BFG – Big Friendlich Giant und E.T. auf ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, ist der letzte Streifen von Spielberg genau so einer dieser Filme.
Genauso wie in E.T., ist das Hautpelement hier wieder die Freundschaft zwischen einem kleinen Kind das in einer dysfunktionale Familiensituation aufwächst, hier mit der grandiosen und charismatischen schauspielerischen Leistung von Ruby Barnhill, und einem „Außerirdischen“. Beide, so unterschiedlich sie auch sein mögen, sind Außenseiter in ihrer Welt. Die kleine Sophie, weil sie für ihr Alter viel erwachsener ist als die anderen Kinder im Waisenhaus und BFG weil er der einzige Riese ist, der keine Menschen verspeißt und lieber Gemüse isst. Und vielleicht ist die kleine Sophie aus diesem Film, so sehr sie sich auch ähnlich sind, am Ende sogar erwachsener als Elliot aus E.T.
Beide einsam in ihrer Welt, sodass sie beide in ihren fehlenden Gegenpart finden. Dabei agieren Barnhill und Mark Rylance als BFG in ihrem Schauspiel so gut miteinander, sodass man das Gefühl bekommt, sie hätten vorher gar nichts anderes gemacht.
Doch die Freundschaft ist nicht nur das einzige Element, das diesen Film so einzigartig macht. Auch wie in E.T. arbeitet der Film viel mit den Emotionen, die gerade Kinder umtreiben. Das ist neben dem Bedürfnis nach Freundschaft auch das Bedürfnis nach einer stabilen Familie, bei der man zuhause sein kann. Aber auch die Frage der Phantasie und des Glaubens daran, die wir uns als Erwachsene eigentlich zu selten stellen. So geht es nicht nur darum sich zu fragen, wo eigentlich unsere Träume herkommen, sondern auch welche Kraft Träume und Phantasie haben können – denn sie können nicht nur Fahrräder zum fliegen bringen, sondern auch die Welt retten. Dabei schafft es der Film auch sehr gut zu vermitteln, dass Träume doch eine wundervolle Sprache sind, mit denen wir nicht nur kommunizieren, sondern in denen unsere tiefsten Bedürfnisse und Ängste versteckt sind.
Der Film schafft mit Bravour die Balance zwischen Kinderbuch-Verfilmung und subtilem Drama und paart dies mit der perfekten Verschmelzung von computeranimierter Realität und Schauspielkunst. Und auch wenn gegen Ende der Film sich auf den ersten Blick in seinem wirklich sehenswerten Phantasierausch zu verlieren scheint, schaffen gerade Barnhill und Rylance durch ihre Zusammenspiel den Film auf Kurs zu halten, und vermeiden dabei, dass der „Showdown“ um die Rettung der Welt, nicht zu einer Klamotte wird.
Ein wirklicher Hingucker ist zuletzt vor allem die virtuose Kameraarbeit von Janusz Kaminski, die fast schon schwindelerregend gut ist wenn es in die Welt der Riesen geht, es dabei aber schafft den Zuschauer nicht zu überfordern.
Kinostart: 21. Juli 2016