Ursprünglich gepostet am: 23. Dezember 2013 auf filmosophie.com
Wer geglaubt hat, der braune Terror habe erst mit den NSU-Morden in Deutschland Einzug gehalten, der irrt. 1980. Wir befinden uns in einer Bundesrepublik, in der kurz vor der Bundestagswahl ein offener politischer Kampf zwischen Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem Bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß stattfindet.
München. Der junge Radiojournalist Ulrich Chaussy (Benno Fürmann) wird zusammen mit seinen Mitbewohnern verhaftet und verdächtigt, Teil einer linken kriminellen Vereinigung zu sein, obwohl man keine belastenden Beweise dafür in der WG findet. Zur gleichen Zeit wird seitens der bayerischen Regierung die zunehmende Militarisierung der rechten Szene, wie zum Beispiel die der Wehrsportgruppe Hoffmann, verharmlost.
Ulrich Chaussy und seine Frau Lise (Nicolette Krebitz) wohnen mittlerweile in der Nähe der Theresienwiese. Am Abend des 26. September 1980 hören sie einen Knall vom nahegelegenen Oktoberfest. Am Haupteingang hat ein Sprengsatz 13 Menschen getötet, mehr als 200 verletzt, 68 von ihnen schwer. Da die Bundestagswahl bevorsteht, sieht Franz Josef Strauß in diesem Attentat ein gefundenes Fressen, um gegen die Bundesregierung und ihrer vermeintliche Unfähigkeit gegen den linken Terror vorzugehen, zu wettern. Schnell wird jedoch klar, dass der Attentäter Gundolf Köhler aus der rechten Szene stammt und Verbindungen zur Wehrsportgruppe Hoffmann hatte.
1983, drei Jahre nach dem schwersten Anschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte, kommt der Generalbundesanwalt jedoch zu dem Schluss, dass Köhler als Einzeltäter gehandelt und es keine Verbindungen zur rechten Szene gegeben hat: wie ein Schlag ins Gesicht für die Opfer. Vom beruflichen Ehrgeiz und den offensichtlichen Ungereimtheiten im Bericht angestachelt, macht sich Chaussy auf die Suche nach der Wahrheit und stößt dabei auf ein Netz von Verstrickungen und Vertuschungen.
Wirft man einen Blick auf die TV- und Filmlandschaft, so kann man zweifelsohne sagen, dass sich die deutschen Verfilmungen bundesrepublikanischer Nachkriegsgeschichte keineswegs verstecken müssen. Ein Beispiel ist Der Baader Meinhof Komplex von Uli Edel von 2008, an den ich die ganze Zeit denken musste oder – passend zum Geburtstag von Willy Brandt am 18. Dezember, an dem die Pressevorführung zu der Der blinde Fleck stattfand – der TV-Film Im Schatten der Macht über die Guillaume-Affäre mit Michael Mendl als Willy Brandt. Es ist daher schade, dass der Film von Daniel Harrich im Gegensatz dazu sehr zahm daherkommt.
Es ist klar, dass in Hinblick auf das Budget Der Baader Meinhof Komplex in einer anderen Klasse spielt als Der blinde Fleck, was in der Inszenierung stellenweise spürbar wird. Das muss aber nicht zwangsläufig ein Problem sein. Als Zuschauer verkrafte ich auch, dass der Film zu Beginn mit Dokumentarfilmaufnahmen aus dem Fernsehen die damalige Situation darstellen will und diese Szene dabei auch nicht reinszeniert, wie es zum Beispiel in Edels Film der Fall ist. Ich drücke als Zuschauer auch ein Auge zu bei der Tatsache, dass Franz Josef Strauß – wenn wir schon von Reinszenierung von politischen Persönlichkeiten sprechen –, der eine wichtige politische Rolle bei dieser Vertuschung spielt, nur bellend im OFF zu hören ist oder man ihn nur im Anschnitt sieht.
Ein Problem scheint mir jedoch, dass das Attentat selbst, das immerhin emotionaler Kernpunkt dieses Films ist, bis auf wenige kurze Szenen gegen Ende des Films als solches gar nicht vorkommt und inszeniert wird. Gerade deswegen hatte ich Schwierigkeiten, eine emotionale Bindung zu Der Blinde Fleck aufzubauen. Der Film fokussiert sich zwar auf die Geschehnisse nach dem Attentat und die politischen Vertuschungen, es wäre jedoch wichtig gewesen, dem Zuschauer die emotionale Brisanz dieses – wie Chaussy selbst im Film auch nochmal betont – schwersten Attentats der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte zu verdeutlichen und ihn dahingehend mitzunehmen.
Denkt man an Bayern, so fällt einem doch dieser immer wiederkehrende Gedanken ein, dass die Bayern sich selbst mehr als Bayern statt als Deutsche sehen und der Rest der Republik eigentlich auch so denkt. Es mag traurigerweise wohl auch daran liegen, dass dieses grausame Attentat in der deutschen Geschichtsschreibung ein bisschen ein Rand-Dasein fristet, weil es ja „nur dort unten“ in Bayern passiert ist. Der Film hätte die Chance gehabt, hier die Aufmerksamkeit auf dieses Thema, diesen in vielerlei Hinsicht „blinden Fleck“ deutscher Geschichte zu verstärken. Jedoch wird er durch die fehlende Inszenierung des Moments des Attentats – in Anbetracht der „Unbekanntheit“ gerade wichtig für den Rest der Republik – dem Thema nicht gerecht und vor allem auch nicht der politischen und gesellschaftlichen Tragweite, die das Attentat für ganz Deutschland bedeutete. Weil die emotionale Bindung zum Thema fehlt, erscheinen auch die moralisch richtigen und vor allem wichtigen Bemühungen von Chaussy streckenweise auf paradoxe Weise belehrend und verfehlen dabei ihr eigentliches Ziel.
Kinostart: 23.01.2014