Ursprünglich gepostet am: 28. Mai 2014 auf filmosophie.com
Dieses Mal geht es nicht um das klassische Programmkino. Dieses Mal gehen wir in den Hamburger Untergrund.
Auch in Hamburg gibt es komische Menschen – zumindest auf den ersten Blick. Das merkt auch bald der junge Student Theo (Lars Kokemüller), der seit einem knappen Jahr in der Hansestadt wohnt und dort Journalismus studiert. Bei einem Spaziergang am Elbstrand lernt er die rätselhafte Künstlerin Emma (Anna Berg) kennen, in die er sich direkt verliebt. Theo setzt alles daran, Emma wiederzusehen, bemerkt jedoch bald, dass ihre Welt düsterer und geheimnisvoller als seine eigene ist. Schneller als ihm lieb ist lernt der junge Student aus Kiel die deprimierenden Seiten der Stadt Hamburg kennen.
In der Regel widmen wir uns auf unserem Blog eher den „großen“ Filmen. Also denen, die im Kino laufen oder im Laden auf DVD zu kaufen sind. Dabei kommen nicht nur die kleineren Filme zu kurz, sondern auch die, die nicht so ein großes Budget für eine klassische und dauerhafte Kinoauswertung haben. Dies trifft auch auf Emma hat Flügel von der Filmemachergruppe RADIKAL & ARROGANT aus Hamburg zu, der mit einer Länge von 76 Minuten und Produktionskosten von 76,48 Euro wohl definitiv zu den Low-Budget Filmen gehört.
Da fragt man sich auf den ersten Blick: Ist das denn ein Film oder ist das Kunst? Ja, es ist ein Film. Und auf die Frage, ob das (Film)Kunst ist, liefert Emma hat Flügel bereits in den ersten Minuten selbst eine klare Antwort: Kunst muss nicht immer gefallen und nicht immer konventionell sein. Das hat sich RADIKAL & ARROGANT auf die Fahnen geschrieben und riskiert (gewollt oder ungewollt) schon mal einen Achsensprung in der klassischen Schuss-Gegenschuss Dialogsituation oder den fast schon provokativen Blick in die Kamera.
Wie Regisseur und Hauptdarsteller Lars Kokemüller in seiner Mail an uns schrieb, ist Emma hat Flügel von (500) Days of Summer inspiriert, was man dem Film auch sichtlich anmerkt, denn auch in Emma hat Flügel geht es um die Liebe und Zuneigung zu einer geheimnisvollen Frau, die eben wie ein Schmetterling einfach nicht recht eingefangen werden kann und auch nicht eingefangen werden will.
Zur gleichen Zeit wirft der Film von Lars Kokemüller auch einen Blick auf die unschönen Seiten der Hansestadt und somit auf die Menschen, die zwischen Coolnesshype und Gentrifizierung auf der Strecke bleiben. Und wie der Film zeigt, trifft das auch Menschen, von denen man es gar nicht erwarten würde. Leider fehlt dem Film hier stellenweise der Mut, dem Zuschauer diese berechtigte Gesellschaftskritik radikaler und offensiver vor Augen zu führen.
Überhaupt steckt in Emma hat Flügel mehr Hamburg als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Der Film beschränkt sich nicht nur auf die Postkarten-Hafenkulisse, die als Hintergrund dient. So lässt uns der Soundtrack in Text und Musik – vielleicht nicht ganz ungewollt – an die Bands Blumfeld und Tocotronic aus der Hamburger Schule denken. Auch in Sachen Filmgestaltung und Konzept erinnern Emma hat Flügel und RADIKAL & ARROGANT, wenn auch nicht so radikal unkonventionell, an die filmischen Versuche von Franz Winzentsen und Hellmuth Costard aus der Filmabteilung der Universität Hamburg mit Schwerpunkt Animations- und Experimentalfilm in den 1960er Jahren.
Schauspielerisch macht der Film Spaß und ist mit Schlingensief Schauspieler Dietrich Kuhlbrodt, TV-Schauspieler Ulrich Bähnk sowie dem Poetry-Slam Star Andy Strauß und der RADIKAL & ARROGANT-Mitbegründerin Anna Berg bunt gemischt besetzt.
Ein bisschen schade ist es in diesem Kontext um die schauspielerische Leistung von Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller Lars Kokemüller, der es zwar schafft die Geschichte gut zu erzählen, jedoch die Lockerheit und Spontaneität der anderen Schauspieler – gerade Berg und Strauß – vermissen lässt. Der anstrengende Spagat zwischen der Rolle des Filmemachers und der des Filmschauspielers ist ihm deutlich anzumerken. Darunter leidet letztlich auch die Liebesgeschichte zwischen Emma und Theo.
Zum Glück ist die Liebesgeschichte hier nicht das Wichtigste. Was wirklich begeistert sind die Szenen, in denen Theo und Emma mit den anderen Figuren interagieren und die – leider wenigen – Momente, in denen die Kamera den Figuren ganz nah ist, stellenweise auch nur ihre Gesichter einfängt und alles andere für einen kurzen Moment ausblendet. Beispielhaft ist hier wohl die Tanzszene und der Aggressionsausbruch von Emma gegen Ende des Films. Gerade in diesen kurzen Augenblicken wird die Gesellschaftskritik, die sich der Film neben der unerfüllten Liebesgeschichte auf die Fahnen geschrieben hat, deutlich und der Zuschauer spürt für einen kurzen Moment die Einsamkeit dieser Menschen und das wahre Problem der Stadt.
Selbst wenn man sich als kritischer Zuschauer stellenweise ein bisschen mehr Radikalität in der Darstellung solcher Probleme wünscht, zeigt das Beispiel von RADIKAL & ARROGANT, dass Kino und Filmkunst nicht immer an große und namhafte Filmfirmen gebunden sein muss.
Film- und DVD-Premiere im Kino 3001 in Hamburg: 14.06.2014 (21 Uhr)