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[Archiv] Georgien ist ein Teil von mir – Interview mit Nana Ekvtimishvili und Simon Groß, Regisseure des Films „Die langen hellen Tage“

Ursprünglich gepostet am: 05. August 2014 auf filmosophie.com

Vor einiger Zeit konnte ich Euch an dieser Stelle bereits den sehenswerten georgischen Film Die langen hellen Tage präsentieren, der am 21. August in die deutschen Kinos kommt. Ich hatte nun die Gelegenheit dem Regie-Duo Nana Ekvtimishvili und Simon Groß ein paar interessante Fragen zum ihrem Film zu stellen.

filmosophie.com: Frau Ekvtimishvili, Herr Groß, erzählen Sie uns zu Beginn kurz wie Sie als Regie-Duo zusammen gefunden haben.
Nana Ekvtimishvili: Wir haben uns in Berlin kennengelernt. Ich studierte damals an der Filmhochschule in Babelsberg und Simon kehrte gerade von seinem Filmstudium in München zurück nach Berlin.

Simon Groß: Schon damals hatte Nana den Stoff zu Die langen hellen Tage im Kopf, so dass die Geschichte von Anfang an auch ein Thema zwischen uns war. Wir haben überlegt wie wir diesen Film zusammen realisieren könnten, wie unsere Zusammenarbeit aussehen könnte und wie wir den Film finanzieren könnten. Wir haben immer über alle Bereiche gesprochen, die so ein Filmprojekt ausmacht. So hat sich im Laufe der Jahre die  Zusammenarbeit entwickelt, so dass wir schließlich auch beschlossen haben die Regie zusammen zu machen.

Aus biographischer Sicht ist es nachvollziehbar, dass ihre gemeinsame Produktionsfirma POLARE FILM in Georgien gegründet wurde. Aber hat das Land auch aus anderer Sicht ein Reiz ausgeübt und wie könnte man die aktuelle Situation der Filmlandschaft in Georgien überhaupt beschreiben und einordnen?

Nana Ekvtimishvili: Georgien ist mein Heimatland. Dort bin ich geboren, hab meine Kindheit und meine Jugend verbracht. Für einen Künstler, der Geschichten erzählt, ist die Heimat ein Ort, dem man nie entkommen kann. So ist es auch für mich. Ich bin einen langen Weg gegangen, um dann wieder zurückzukehren. Georgien ist ein Teil von mir. Ganz egal wie ich mich dort fühle, welche Bedienungen es dort gibt oder wie schwer oder einfach es dort für mich ist Filme zu machen.

Simon Groß: Für mich ist Georgien zu einem Stück Heimat geworden, nicht zuletzt auch durch die Arbeit an Die langen hellen Tage. Georgien bringt mir viel Lebensfreude. Es ist völlig anders als Deutschland und bereichert meinen Horizont und meine Sicht auf das Leben. Es verändert auch die Sicht auf mein Heimatland Deutschland. Ich kann Deutschland aus einer anderen Perspektive sehen als früher. Ich sehe Deutschland klarer und denke, dass das in Zukunft auch für das Geschichtenerzählen in Deutschland spannend sein könnte.

Frau Ekvtimishvili, in einem Statement steht, dass die Geschichte von ihren persönlichen Erinnerungen inspiriert ist. Wie viel Nana Ekvtimishvili steckt in den beiden Hauptfiguren Eka und Natia?
Dahingehend gleich die Frage an Herrn Groß. Sie leben nun seit 5 Jahren in Tiflis. Wie war Ihr Eindruck als Sie das erste Mal nach Georgien kamen und begannen sich mit dem für sie vermutlich fremden Thema des Films zu befassen?  


Nana Ekvtimishvili: Die Figuren Eka und Natia sind mir natürlich sehr nah. Ekas Figur ist zu meiner Biographie noch etwas näher, wobei Natias Innenwelt und Gefühle mir genauso vertraut sind. Ich bin nie entführt worden, aber solche Sachen geschahen in meiner unmittelbaren Nähe, auch in meiner Familie. Alle Figuren, die im Film vorkommen, wenn sie auch zum großen Teil erfunden sind, sind mir schon mal begegnet. Auch viele Verluste habe ich in diesen Jahren erlebt, viele junge Leute starben, die ich kannte, mit denen ich befreundet war. Hinter jeder Szene stecken Erinnerungen. Der Film kann gar nicht die Zeit und die Erfahrung abdecken, die ich und meine Generation in diesen Jahren durchgemacht haben. Aber ich wollte in dem Film nie über mich erzählen, das war nicht meine Absicht. Ab dem Moment, wo aus meiner eigenen Erfahrung Figuren entstehen und zu leben anfangen, wird das Autobiographische darin immer unwichtiger. Die Figuren fangen an sich selbst zu folgen und eine eigene Logik und Gesetzmäßigkeit zu entwickeln. Wenn einmal das rohe Erzählgerüst steht, dann lass ich meine Biographie los. Sie hat dann mit dem Erzählten nichts mehr zu tun. Meine Biographie interessiert mich nicht. Mich interessiert nur, was ich erlebt habe und das ist ein gewaltiger Unterschied.

Simon Groß: Als ich 2006 das erste Mal nach Georgien kam, war ich überwältigt von diesem Land, den Menschen, der Kultur und der Landschaft. Es hat sich bei mir ein Gefühl eingestellt, dass es hier in gewisser Weise im Alltäglichen stärker um den Kern des Lebens geht – Leben und Sterben. In Georgien fühle ich mich näher am Puls des Lebens, was sicherlich auch mit dem Temperament der Georgier zu tun hat.
Mit der Geschichte unseres Films hatte ich mich schon vorher beschäftigt, da es damals schon ein Treatment von Nana gab. Ich hatte schon vor meinem ersten Besuch eine starke Vorstellung von dem Land und den Menschen durch das Treatment, aber natürlich auch durch Nana.
Als ich dann aber vor Ort war, haben sich diese Eindrücke noch mal verstärkt.

Die langen hellen Tage spielt im post-sowjetischen Georgien, einem Land im Umbruch. Für Menschen die noch nie in Georgien waren, mich eingeschlossen, wie schwer oder wie leicht war es die Situation von Tiflis von 1992 für den Film zu rekonstruieren?

Alle Drehorte sind original. Wir haben viel Zeit damit verbracht diese Orte zu finden, da der Wandel in Georgien nun sehr schnell geht. Auch die Kostüme sind original. Viele haben wir in Second-Hand-Läden gekauft.
In diesem Sinne war es also viel Arbeit, aber wir mussten nicht viel rekonstruieren, was den Film umso authentischer wirken lässt.

Wie kam die Zusammenarbeit mit Kameramann Oleg Mutu zustande?

Wir kannten einige seiner Filme wie My Joy von Sergej Loznitsa oder 4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage von Christian Mungiu.
Uns hat gefallen wie intuitiv Oleg die Schauspieler mit der Kamera filmen kann, wie seine Kamera auf den Punkt ist, ohne dabei jemals technisch zu wirken.

Die Kamera spielt im Film überhaupt eine wichtige Rolle wie mir scheint. Sie ist immer sehr nah an den Menschen und ihren Gefühlen. Überhaupt spielt sich viel in der Enge der Wohnungen und der Gassen ab. Ein interessanter Kontrast zu der Freiheit, die sich Georgien theoretisch gesehen nach der Sowjetunion bietet.
Wie sehr war dieses Gefühl der Enge wichtig für den Film und seine Geschichte und welche Bedeutung hat diese?


Nana Ekvtimishvili: Ja, das Gefühl der Enge ist wichtig. Gerade dann, wenn Georgien unabhängig wird. Das hat mit den Gefühlen der Menschen zu tun. Sie wissen nicht wie man mit der Freiheit umgeht. Stellen Sie sich einen Mensch vor, der jahrelang eingesperrt ist und dann ist er frei und man sagt ihm, er solle irgendwelche wichtigen Entscheidungen treffen. So war es auch mit Georgien und mit den Menschen. Die Leute waren wie gelähmt. Jahrelang haben andere bestimmt und diktiert, wie man zu leben hatte. Meine Mutter arbeitete in einem Institut der leichten Industrie und es ist sehr komisch, dass sie damals die Urlaubsgutscheine kriegte. Man hat diese Gutscheine vom Staat und vom Arbeitgeber bekommen und dann hat man irgendwo dort Urlaub verbracht, wo es dem Staat passte. Selbst dein Urlaub war von anderen bestimmt. Die Zeit in der  Sowjetunion hat unglaublich vieles im Menschen zerrüttet und es hat Jahre gedauert bis die Generationen sich davon erholt haben. Sehen sie nach Russland, was dort passiert. Das System in diesem Land tötet jegliche menschliche Freiheit, die Freiheit des Denkens, der Seele. Diese Enge, die im Film auch seinen visuellen Ausdruck findet, ist auch ein Bild von dem post-sowjetischen Georgien. Als ich in Georgien plötzlich ein neu montiertes Schild sah, wo draufstand THERAN 1200 KM war ich erstaunt. Gefühlt war in der Sowjetunion alles weit weg, außer Moskau. Diese Entfernungen und Distanzen mussten nach dem Bruch der Sowjetunion nicht nur im geographischen Sinne neu sortiert werden.

Einen ebenso großen Anteil am Film haben die beiden Hauptdarstellerinnen Lika Babluani und Mariam Bokeria, die sehr gut miteinander harmonieren. Wie verliefen die Dreharbeiten mit den beiden jungen Schauspielerinnen?
Simon Groß: Die Dreharbeiten liefen sehr gut, da beide Mädchen großartig gearbeitet haben. Sie waren sehr geduldig und motiviert. Das hatte sicherlich auch mit der großen Vorbereitungszeit zu tun, die wir gemeinsam hatten. Wir haben viel geprobt und viel Zeit im Vorfeld miteinander verbracht. Wir hatten viel Spaß. Das Spielen hat beiden viel Freude gemacht. Es war eine völlig neue Erfahrung für sie.

Nana Ekvtimishvili: Entscheidende für die gute Zusammenarbeit war, dass Lika und Mariam sich mochten. Sie waren unterschiedlich, aber sie mochten einander, sie waren sogar von einander fasziniert. Es war schön zu sehen, wie sie sich gegenseitig öffneten und sich einander in die eigene Welt eintreten ließen. Es gab großes Vertrauen auch während des Spiels.

Der Film und die Darsteller haben viele Erfolge gefeiert und Zuspruch bekommen. Was hat die Zuschauer auf den Festivals besonders begeistert?

Die Menschen waren oft sehr berührt von dem Film und von den beiden Mädchen. Der Film hat es oft geschafft die Menschen aus verschiedenen Ländern in ihren Bann zu ziehen. Der Tanz von Eka zur Hochzeit von Natia hat viele beeindruckt – eine zentrale Szene dieses Films.

In einem der Statements steht, dass viele Cineasten im Zusammenhang mit dem Film von einer „New Wave“ sprachen. Sehen Sie sich beide als Teil eines neuen georgischen Kinos und was für eine Zukunft sehen Sie für das georgische Kino?

Wir verstehen den Gedanken einer „New Wave“ und finden ihn auch gut, so lange er uns die schwierigen Umstände einen Film zu machen etwas erleichtern kann. Aber ansonsten betrachten wir uns diesbezüglich nicht so sehr von außen. Wir wollen einfach Geschichten erzählen und Filme machen.

Vielen Dank für das Interview!