Ursprünglich gepostet am: 20. April 2016 auf filmosophie.com
Guibord (Patrick Huard) ist ein unabhängiger Abgeordneter, der Prescott-Makadewà-Rapides-aux-Outardes vertritt, einen großen Wahlkreis im Norden Québecs. Zu seinem großen Leidwesen wird der Politiker zum Zünglein an der Waage bei einer Abstimmung von nationaler Tragweite: Soll Kanada sich an einem Kriegseinsatz im Nahen Osten beteiligen? Guibords Stimme ist entscheidend. Das ganze Land schaut auf ihn. In Begleitung seiner Frau Suzanne (Suzanne Clément), seiner Tochter Lune (Clémence Dufresne-Deslières) und eines idealistischen Praktikanten Souverain Pascal (Irdens Exantus) aus Haiti tourt der Parlamentarier durch seinen Bezirk, um sich mit seinen Wählern zu beratschlagen.
Die Debatte explodiert, und Guibord droht völlig die Kontrolle zu verlieren.
In einer Zeit, in der Satiresendungen wie Extra 3 und Satiriker wie Jan Böhmermann Politiker auf den Arm nehmen und ausländische Präsidenten als Ziegenf*** bezeichnet werden, ist Satire in aller Munde. Aber ist nicht die Politik Quell unerschöpflicher Vorlagen? Hier in Deutschland ist das nicht anders als in Kanada. Doch bei „Amerikas kleinem Bruder“ ist Politik, und Lokalpolitik umso mehr, ein bisschen anders.
Es fängt schon bei der Größe des Wahlbezirkes an. Zur Recht erzählt Souverain (Irdens Exantus) seinen daheim auf Tahiti gebliebenen Freunden und Verwandten, dass der Wahlbezirk von Guibord fast 3-Mal so groß wie der Inselstaat ist, doch dafür ist die Bevölkerungsdichte dieses Bezirkes auch nur 1/10 der von Tahiti. So ist es auch vollkommen normal, dass man als Abgeordneter schon einmal mehrere 100 Kilometer zwischen den einzelnen Orten zurücklegen muss, um dort beim obligatorischen Baumpflanzen dabei zu sein.
Überhaupt ist in Kanada viele anders. Es ist das Land des gelebten Kompromisses. Nicht nur gesellschaftlich, sondern auch politisch. Und das macht wiederum Prozesse in der kanadischen Politik extrem langwierig und Mein Praktikum in Kanada wiederum zu einem irgendwie kanadischen Film. Inmitten dieser andauernden Kompromisses, in dem die Truckfahrer ihre Straße befahren, indigene Gruppen ihrer Heimat schützen und Minenarbeiter und Bürgermeister die Arbeitsplätze erhalten wollen, bricht die Weltpolitik herein. Soll Kanada in den Krieg ziehen? Oder besser, wie sind Lokalpolitik und Weltpolitik vereinbar. Und das bringt unweigerlich zum Chaos.
Regisseur Philippe Falardeau verwebt auf amüsante Weise diese beiden Welten miteinander, in der kanadische Kompromissbereitschaft auf harte und traurige Weltpolitik trifft. Schon mit seinem Film Monsieur Lazhar (2011) hatte Falardeau einen Einblick in die kanadische Denkweise und die Probleme gegeben, die unter der nach außen perfekt funktionierenden Gesellschaft wohnen.
Es ist amüsant zu beobachten, wie Lokalpolitiker Guibord versucht mit diesem Konflikt zu Recht zu kommen und – natürlich – immer wieder scheitert. Aber das an für unsere Augen teils absurden, aber für kanadische Verhältnisse normalen Gründen. Die Stärke, wenn man sie nennen will, des Films ist, dass die Situationen zwar etwas überspitzt dargestellt werden, aber dennoch normal sind. Und es ist gerade diese erschreckende Normalität, die sie wieder so satirisch machen.
Gerade gegen Ende zieht sich dieses Dilemma jedoch leider ein bisschen Länge und sodass das Gefühl aufkommt, der Film hätte stellenweise ein bisschen stringenter erzählt werden können. Vielleicht bleibt der Film da zu sehr in der sinnbildlichen kanadischen Kompromissbereitschaft gefangen. Trotzdem, oder gerade deswegen, ist die Lösung am Ende zwar kein Lehrstück an Politik, jedoch im Lichte der Filmdramaturgie die einzige richtige, um dieses Dilemma der kanadischen Politik zu lösen.
Am Ende ist der Film eine sehr amüsante und für unsere Augen sehr skurrile Satire über kanadische Politik, die sich uns jedoch nicht immer voll und ganz erschließt, denn wir leben nicht in dieser Art von Gesellschaft. Am Ende wird aber klar, wohin Falardeau mit seinem Film will, doch der Biss, den Satire eigentlich haben soll, hätte stärker sein können. Vielmehr scheint der Film ein Loblied auf die Kompromissbereitschaft der kanadischen Politik zu sein, die per se gut ist, doch ins Wanken gerät, wenn die harte Weltpolitik hereinbricht. Oder auch, dass das Model nur im Kleinen funktioniert, doch in einem internationalen Kontext so nur schwer beizubehalten ist.
Während die satirische Komponente am Ende insgesamt leider zu schwach ausfällt, lernen wir und auch Souverain aber, dass kanadische Politik (so skurril sie auch sein mag), im Kern nicht anders ist als die Politik auf Tahiti (zu dem der Film durch Souverain immer wieder die Verbindung aufbaut) und damit im Kern relativ ähnlich zu einem Land ist, das der verwöhnte Norden tendenziell immer wieder als „Bananerepublik“ tituliert. Und das ist die echte Satire.
Kinostart: 26. Mai 2016