Ursprünglich gepostet am: 5. Oktober 2013 auf filmosophie.com
Die Geschichte von Naked Opera ist schnell erzählt. Der Dokumentarfilm von Regisseurin Angela Christlieb, der auf der Berlinale 2013 mit dem Heiner-Carow-Preis ausgezeichnet wurde, erzählt die Geschichte des wohlhabenden Marc Rollinger aus Luxemburg. Er lebt den Luxus und liebt ihn, und so kommt es schon einmal vor, dass er sich spontan für 8900 Euro eine Flasche Armagnac aus dem nahegelegenen Stuttgart bringen lässt. Marc leidet jedoch seit der Kindheit an einer unheilbaren Krankheit, die seinen ganzen Körper und seine Knochen angreift.
Auf der Suche nach der perfekten Inszenierung seines Lebens und seiner Lieblingsoper, reist er dem Spielplan von „Don Giovanni“ hinterher und versucht einmal im Monat dort zu sein, wo die Oper aufgeführt wird: Luxemburg – Venedig – Wien – Berlin. Daheim und auf seinen Reisen umgibt er sich immer wieder mit Escort-Boys und jungen Liebhabern, die er auch an den jeweiligen Orten bereits kennt und immer wieder trifft.
Das Interessante an diesem Film ist nicht unbedingt der Plot oder der dramaturgische rote Faden der Ausschnitte der Don Giovanni-Verfilmung von Joseph Losey, die den Rahmen des Film bilden, sondern vielmehr Marc selber. Es geht im Prinzip immer nur um ihn, und nicht nur weil er der Hauptdarsteller ist, sondern auch weil Marc sich so von alleine inszeniert. Beispielhaft scheint dafür eine Szene zu Beginn des Films, in der er über sein immer präsentes iPhone spricht und kommentiert: „It’s all about I … I … I it should be about me … me … me“. Dahingehend schafft es der Film aber, Marc und seinen Drang nach Luxus nicht auflaufen zu lassen oder lächerlich zu machen. Im Gegenteil, man lacht zwar über ihn und seine divenhafte Art, jedoch wirkt er nie unsympathisch oder gar als ein Snob. Er ist wie ein Pinguin, sein Lieblingstier, der sich in seinem Element wohlfühlt.
Es scheint stellenweise auch so, als ob er mit seinem Luxus kokettierten würde und sich über seinen Drang nach Luxus auch ein bisschen lustig macht. Im gleichen Moment kommt aber auch wieder die Diva in ihm hervor und da passiert es auch schon, dass er einfach das Ansteckmikro ausmacht und sich der Inszenierung des Films widersetzt. Statt aber der Dramaturgie wegen die Konfrontation in diesen Situationen zu suchen, scheint Regisseurin Angela Christlieb damit ebenfalls zu spielen und sich darauf einzulassen, was zweifelsohne eine Stärke des Films ist.
Auch wenn Don Giovanni in gewisser Hinsicht auch eine Art Diva ist, so könnten die Opernfigur und Marc unterschiedlicher nicht sein, denn Marc ist nicht wirklich attraktiv – zumindest nach dem was man im Allgemeinen darunter versteht. Als er zum Beispiel den französischen Pornostar und Liebhaber Jordan Fox, den er in Berlin trifft, beschreibt, bezieht er sich hauptsächlich auf seine Art und seinen Körper und wird dabei nie sexuell, wohl auch weil er wegen der durch die Krankheit geschwächten Knochen, die stellenweise immer zu brechen drohen, vermutlich keinen Sex haben kann und nicht wirklich körperlich mit seinen Begleitungen werden kann. Seinen Liebhaber Jordan beschreibt er dahingehend wie Don Giovanni und man meint, gerade in diesem Moment ein bisschen Wehmut in seinen Augen zu sehen.
Er ist in dem Sinne auch wieder eine tragische und traurige Figur, weil er nicht so lustvoll leben kann wie sein Lover, der sich zum Beispiel bei einem Besuch im berühmten KitKatClub in Berlin auch mit anderen Männern vergnügt, während Marc in seinem Inneren eigentlich die wahre Liebe sucht. Auf der anderen Seite ist Marc auch wieder doch wie Don Giovanni, der genau darüber Buch führt, wie viele Frauen er wo beglückt hat. Marc fotografiert wiederum seine sich für ihn räkelnden männlichen Begleiter mit seinem iPhone und bestaunt und sammelt ihre Bilder, genauso wie die Postkarten und Rechnungen der gemeinsam besuchten Orte, die fast schon pedantisch nach Datum in Ordnern sortiert in seinem Arbeitszimmer ein ganzes Regal füllen. Überhaupt scheint Marc immer wieder seine Umgebung mit dem iPhone festhalten zu wollen, immer auf der Suche nach dem perfekten Moment.
Naked Opera ist ein sehenswerter Film, der gerade wegen seiner einfühlsamen und nie bloßstellenden oder gar pornographisch und sexuellen Inszenierung zu Recht ausgezeichnet wurde und darauf verzichtet, der Dramaturgie wegen zu provozieren, wenn offensichtlich ist, dass bei Marc ein wunder Punkt getroffen wurde. Trotz der amüsanten Situationen die Marc mit seiner Attitüde als Diva erzeugt, ist Christliebs Film im Kern aber tragisch genau wie eine Oper. So scheint der Begriff „Naked“ nicht nur auf die sich nackt räkelnden Escort-Boys und jungen Liebhaber zu verweisen, sondern auch auf Marc selbst, der sich „auszieht“ und sich uns anvertraut und damit eigentlich im krassen Gegensatz zu seiner Aussage steht, dass er nur wenige Vertraute hat.
Paradigmatisch für die Tragik in der Marc steckt, ist auch das Ende des Films, als Christlieb bewusst sehen will was passiert, als sein Lover Jordan Fox ihn in seinem Hotelzimmer besuchen kommt: Die Situation soll sich von alleine entwickeln, aber Marc widersetzt sich ungewöhnlich heftig und will Inszenierung, Vorgaben zum weiteren Vorgehen haben. Er schafft es dabei einfach nicht, spontan zu sein. Dabei entpuppt er sich wieder als tragische und vor allem traurige Figur, genauso wie sein Alter Ego Don Giovanni.
Kinostart: 10. Oktober 2013